Von wem würden wir glauben, dass er oder sie die größte Expertise im Themenbereich „Prävention und Schutzmaßnahmen vor Desinformation" hat? Wissenschaftler:innen? Politikexpert:innen? App-Entwickler:innen? Die EU hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Positionspapiere, Beschlüsse, Richtlinien und freiwillige Selbstverpflichtungen entwickelt, die eine Fülle an Maßnahmen und Haltungen gegen Desinformation zur Folge hatten. Ob Empfehlungen zu nationalen Schutzbeauftragten, die Betonung der großen Relevanz Jugendlicher für die Zukunft unserer Demokratie(n) oder die Sorge darüber, ob die heranwachsende Generation sich überhaupt noch mit den europäischen Werten identifiziert: Die EU handelt und positioniert sich klar gegen Desinformation und gibt eine Vielzahl an Handlungsoptionen und Richtungen vor.
Obwohl in den Papieren immer wieder davon gesprochen wird, dass auch Bürgerinnen und Bürger an den Überlegungen beteiligt waren, fragten wir uns trotzdem, wie es mit der Perspektive von Jugendlichen aussieht: Was denken eigentlich Schülerinnen und Schülern über die Haltungen, Empfehlungen und Richtlinien der europäischen Union? Stimmen sie zu? Sehen sie Dinge anders? Oder was genau sagen die Jugendlichen (vielleicht anders?), wenn wir sie wirklich direkt und selbst fragen?
Also fuhren wir erneut in die Schulen – die Schulen, das sind die HTL St. Pölten, die HLW Tulln und das BRG Krems Ringstraße. Natürlich nicht unvorbereitet: Im Gepäck waren zwei Sets mit je sechs Diskussionskarten, zu denen die Schüler:innen in Kleingruppen im Optimalfall rege Gespräche führen und zu teils provokanten Aussagen hoffentlich eine eigene Haltung entwickeln sollten. Die Karten waren dabei immer gleich aufgebaut: ein Name, eine Berufsbezeichnung und ein KI-generiertes Bild zu einer fiktiven Person – und dazu ein teils provokatives Zitat, das im Kern die Haltung der EU widerspiegelte. Die Zitate erarbeiteten wir vorab im Rahmen einer Dokumentenanalyse mit Hilfe der qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring. Dabei durchforsteten wir über 50 EU-Papiere auf der Suche nach der Definition von Desinformation, dem Problemverständnis dazu, potenziellen Gegenmaßnahmen und der Rolle, welche die EU den Jugendlichen gegenüber Desinformation zusprach.
So legten wir einem erfundenen, recht übergriffigen „Onkel Herbert" ebenso Zitate in den Mund wie einem fiktiven ZIB-Moderator oder der ebenfalls ausgedachten Sozialarbeiterin Petra aus Wiener Neustadt. Zu jeder der insgesamt 12 Diskussionskarten sollten sich die Jugendlichen in Kleingruppen austauschen und konnten ihre Gedanken zu den Punkten „Was würdest du darauf antworten?", „Hier stimme ich zu/nicht zu" und „Was würdest du anders sagen?" schriftlich festhalten.
Das Ganze glich methodisch ein wenig einer Feuertaufe, da es bis dato unseres Wissens noch keine Forschung und Anwendungsberichte zur Arbeit mit dieser Methode der „card-based group discussion" im Kontext minderjährigen Schüler:innen in Citizen-Science-Projekten gibt. Der Geräuschpegel der Diskussionen in den Klassen, die vielen Anmerkungen auf den bearbeiteten Diskussionskarten, hunderte Minuten Tonaufnahmen und das Feedback der Schüler:innen am Ende des Workshops zeigen jedoch: Feuertaufe bestanden – die Methode funktionierte wunderbar und zeigte Wirkung. Zitate wie etwa „Wir teilen nicht alles einfach blind auf Insta", „Nein, das sehe ich komplett anders" oder „Wann verstehen die endlich, dass man uns nicht einfach ausschließen kann, um uns zu schützen" bezeugen exakt das, was wir uns erhofft haben: Die Jugendlichen beschäftigten sich mit den politischen Positionen und erkannten dabei häufig (manchmal auch für sie selbst überraschend), dass sie tatsächlich einiges zum Thema Desinformation zu sagen hatten.
Besser konnte es nicht laufen! Und jetzt? Jetzt wird transkribiert … und transkribiert. Das Kodieren, das machen wir dann (zumindest zum Teil 😉) wieder mit den Schüler:innen gemeinsam – sonst wären wir schließlich kein Citizen-Science-Projekt, oder?
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