Die CitSciHelvetia'25 versammelte Forscher:innen, Bürger:innen und Citizen Science-Begeisterte am Genfer See. Ein Rückblick mit See-Blick.
Lausanne ruft. Wir kommen.
Die dritte Schweizer Citizen Science-Konferenz Anfang Juni 2025 in Lausanne lockte 350 Teilnehmende nach Lausanne und hatte "Citizen Science in Action. Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und der akademischen Welt" zum Thema. Wenn es um Citizen Science geht, dürfen wir (von Österreich forscht) selbstverständlich nicht fehlen: Dementsprechend folgten wir dem Aufruf, einen Beitrag einzureichen und nutzten die Gelegenheit, unsere Studie zum Thema Kooperationen zwischen Citizen Science-Projekten auf Österreich forscht bei der Konferenz vorzustellen. Mit vollem Magen und halbleeren Akkus galt es, im berüchtigten „graveyard slot" direkt nach dem Mittagessen die Konferenzteilnehmenden aus dem kollektiven Essenskoma zu holen: Herausforderung angenommen!
Wandel durch Teilnahme
Im Einklang mit dem Motto „Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und der akademischen Welt" behandelte der Impulsvortrag von Alain Kaufmann die Formen der Partizipation in Citizen Science. Dabei stand der Aspekt der Transformation der Akteur*innen in Citizen Science im Mittelpunkt, denn durch partizipative Forschung wird nicht nur Wissen generiert, sondern auch die Kompetenzen der Beteiligten und Methoden in der Wissenschaft erweitert. Außerdem soll, laut Alain Kaufmann, Citizen Science die Handlungen und Erfahrungen von Menschen verändern und idealerweise zu mehr Solidarität innerhalb der Gemeinschaft führen.
In Citizen Science treffen somit wissenschaftliche Konzepte, Wahrnehmungen, Emotionen und Artefakte (im sozialwissenschaftlichen Sinne) zusammen: Während in der Wissenschaft Emotionen als „Parasit" wahrgenommen werden, dienen sie im Alltag dazu, Menschen zu mobilisieren. Während in der Wissenschaft die Welt durch wissenschaftliche Methoden und Instrumente wahrgenommen wird, nehmen Menschen ihre Umwelt mit ihren Sinnen wahr, wobei ihre Vorerfahrungen auch ihre Wahrnehmung prägen. Dass dies zu Spannungen oder zumindest unterschiedlichen Herausforderungen in Citizen Science führen kann, ist daher nicht verwunderlich.
Für Alain Kaufmann ist es bei Citizen Science unerlässlich, dass „Entprofessionalisierung" und „Entmachtung" stattfinden. Als Beispiel nannte er, dass nicht nur Ärzt*innen bestimmte Fähigkeiten haben sollten, sondern Gesundheitspersonal generell. Das betrifft auch die Berufe, die Wissen schaffen, also Wissenschafter*innen, die nicht die einzigen Personen sein sollten, die Wissen generieren (können dürfen).
Zum Schluss betonte der Impulsredner noch, dass es für Citizen Science Partnerschaften braucht, die durch gute Beziehungen gekennzeichnet sind. Außerdem erfordert Citizen Science Kreativität, z.B. in der Anpassung von Methoden und Evaluationsmaßnahmen, die den Wert und die Wirkung der Forschung berücksichtigen. Des Weiteren sollte die Weitergabe von Kompetenzen an die Gemeinschaft, mit der Forschende zusammenarbeiten, zu Projektende gegeben sein. Auch hier zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Citizen Science und dem aktuellen Wissenschaftssystem. Letzteres ist auf Exzellenz (beispielsweise wissenschaftliche Veröffentlichungen in Top-Fachzeitschriften) und weniger auf Wissenschaftskommunikation, neue Formen der Wirkung oder gesellschaftliche Relevanz ausgelegt.
Unabhängige Institute, die Menschen zuhören und tätig werden
Im zweiten Impulsvortrag ging es um die Schaffung eines unabhängigen Institutes, das Behörden, Vereine, Verbände, Bürger*innen, Anrainer*innen, Wissenschafter*innen und Unternehmen zusammenbringt. Aber von Anfang an: Der Ausgangspunkt war, dass die ansässige Bevölkerung in der Nähe von Marseille gegen eine Industrieanlage protestiert hat, die (vermeintlich) zur Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden beiträgt. Allerdings konnten die Menschen vor Ort dem Unternehmen diese Verschmutzungen nicht nachweisen, weil es keine Datengrundlage gab. Daher bestand die Notwendigkeit eines unabhängigen Institutes, das alle Seiten zusammenbringt und auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht und auch Empfehlungen aussprechen kann. Über Kunst und Wissenschaft, Bürger*innenräte und die Hürden der Einwanderung – Die Workshops bei der CitSciHelvetia
Ganz nach dem Motto „Une conférence, mille idées" war das Programm äußerst vielfältig gestaltet. So war auch das Worshopangebot breit gefächert.
Im Workshop „Exploring art & science for societal engagement" wurde diskutiert, wie Kunst und Wissenschaft zu (besseren) Ergebnissen kommen können. Denn Kunst kann Gefühlen Ausdruck verleihen, die wir nicht in Worte (und schon gar nicht in wissenschaftliche Veröffentlichungen) fassen können. Außerdem kann Kunst dabei helfen, dass sich Menschen öffnen: Das ist beispielsweise dann interessant, wenn Gruppendiskussionen in der Forschung nicht den gewünschten Einblick bieten und nur an der Oberfläche eines Problems kratzen. So eröffnen beispielsweise Tanzen, Malen oder Zeichnen neue Wege, um Themen auf sinnlich-kreative Weise zu erfassen und zu verarbeiten.
Beim Workshop „Co-creating strategies to integrate citizen panels into Swiss academia" stand der Wissenstransfer und die Verknüpfung zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik im Vordergrund, wobei der Schwerpunkt auf Bürger*innenräten an Universitäten lag. Anhand der drei Schwerpunkte Organisation, Anwerbung und Evaluation diskutierten wir, wie ein Citizen Panel an einer Universität aussehen könnte und wie die Leute bei der Stange gehalten werden können. Bezüglich Evaluation und Wirkung hat es eine Teilnehmerin (Kiat Ng) auf den Punkt gebracht: Wirkung ist wie ein Schwammerl: Was sichtbar wird, ist nur die Spitze. Das eigentliche Geschehen – das wachsende, verbindende Myzel – bleibt zunächst im Verborgenen. Wer nur auf die Oberfläche blickt, übersieht das Eigentliche darunter! Wie bei den Schwammerl liegt die Kraft der Wirkung also im Unsichtbaren.
Bleibenden Eindruck hinterlassen hat der Workshop „Willkommen in Valesia: ein partizipatives Theater zu Migrationsthemen": Ohne zu wissen, was uns erwartet, wurden wir (die Teilnehmenden) gebeten, uns zu setzen. Ohne weitere Einführung wurde plötzlich eine Brandrede auf das wunderschöne Valesia gehalten, in das wir (anscheinend) vorhatten, einzuwandern. Wir (die Einwandernden) tappten dann im Dunkeln und wussten nicht, was wir tun sollen, bis die erste Teilnehmerin zum Integrationsbüro gerufen wurde. Alle wurden dort dazu befragt, was sie in Valesia wollen, bevor sie ihren „Ausländer:innenausweis" bekamen. Dann folgte ein Spießroutenlauf:Wir wurden von Behörde zu Behörde und Büro zu Büro geschickt und hörten dort oft: „Dafür sind wir nicht zuständig. Dafür müssen Sie zum Sozialbüro". Die Mitarbeiter*innen in den Behörden redeten (oft) in einer Sprache, die wir nicht verstanden, wodurch wir auch nicht wussten, was gerade passiert oder was von uns erwartet wurde. Es war also unabdinglich, dass wir die Sprache lernen und einen Sprachtest absolvieren. Da wir uns nicht auskannten, verunsichert und (je länger das Ganze dauerte) auch frustriert waren, tauschten wir (die Einwandernden) uns untereinander aus, was wir tun sollten. Ich machte eine besonders bittere Erfahrung: Am Anfang wurde ich noch groß willkommen geheißen, mir wurde ein hoher Ausländer:innenstatus zugesprochen und Startkapital gegeben. Beim Sozialbüro bekam ich noch einmal Geld zugesprochen und so schnell ich es bekommen hatte, so schnell war es auch wieder weg (genauso wie mein hoher Ausländer:innenstatus), da mir Sozialschmarotzerei vorgeworfen wurde. Auch die Mitarbeiterin im Integrationsbüro, die am Anfang noch freundlich gesagt hatte, dass ich mich bei Problemen bei ihr melden könne, war plötzlich abweisend und machte sich sogar hinter meinem Rücken über mich lustig. Während ich mich in einer Abwärtsspirale befand, waren andere schon kurz vor der Einbürgerung. Nach diesem Schlag ins Gesicht war das Theaterspiel auch schon wieder vorbei. Dieser „Hürdenlauf im Hamsterrad" ist leider für viele Menschen, die einwandern möchten, bittere Realität. Eine Realität geprägt von Verunsicherung, Frustration, dem Gefühl ungerecht behandelt zu werden, Erfahrungen von Ausgrenzung und nicht zuletzt einem Ringen um die eigene Identität. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen, die wir in einem Projekt namens ReTrans im Bereich Dolmetschen für Menschen auf der Flucht gewonnen haben. Das Ganze am eigenen Leib (zum Glück nur als Theater) zu erleben, machte die Erfahrungen der geflüchteten Menschen noch einmal nahbarer.
„Vive la science citoyenne!" – Ein Hoch auf Citizen Science (und die Dolmetscher*innen)
Im Themenblock „Wissensdynamiken" ging es am letzten Konferenznachmittag um die Gründe, warum Menschen nicht bei Citizen Science mitmachen, wie Teilnehmende in einem (sprachwissenschaftlichen) Citizen Science-Projekt möglichst lange bei Laune gehalten werden und wie Projekte im Agrar- und Lebensmittelbereich gemeinsam gestaltet werden können. Auch der Frage, ob Community Building und Qualitätssicherung ein Gegensatz sein müssen, wurde nachgegangen. Die Antwort darauf lautet übrigens „Nein": Die Gemeinschaft rund um ein Projekt kann auch selbst die Qualitätssicherung der Daten(-analyse) partizipativ gestalten. Den Themenblock rundete der Vortrag zum Thema Street-Art und Pflanzen ab, in dem es um die Darstellung von Pflanzen von Kunst im öffentlichen Raum ging, beispielsweise ob Pflanzen in den Kunstwerken eine passive oder aktive Rolle zukommt und welche Beziehungen (zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und der unbelebten Umwelt) daraus ableitbar ist.
De Lausanne avec curiosité
Auf dem Weg zum Tagungsort an der Universität Lausanne ist uns übrigens ein pelziger Freund im Park begegnet: Diese Sichtung haben wir natürlich gleich bei StadtWildTiere Schweiz gemeldet 😉. Erkennt ihr, um welches Tier es sich handelt?