Die Wissenschaft der Bürgerforschung Grafik: SPOTTERON Citizen Science | www.spotteron.net

Die Science of Citizen Science ist jetzt ein eigenes inter- bis transdisziplinäres Forschungsfeld. Im Rahmen einer COST Action haben wir die vielen Erscheinungsformen, Randbedingungen und Wirkungen von Bürgerforschung, Citizen Science, betrachtet. Aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, aber auch mit Beteiligten aus ganz Europa. Dabei war der Start der COST Action eine kleine Herausforderung. COST – Cooperation in Science and Technology, ist ein Programm der europäischen Kommission, welches Forscherinnen und Forscher über ganz Europa vernetzt, um Europa als gemeinsamen Forschungsraum zu stärken – und dafür sind persönliche Kontakte hilfreich – und exzellente Forschung zu neuen Themen voranzubringen. Aus den verschiedenen Arbeitsgruppen des Europäischen Vereins der Bürgerwissenschaften (ECSA – European Citizen Science Association) entstand die Idee, für die bessere theoretische Fundierung von Citizen Science die Begleitforschung auszubauen. Unterstützt von verschiedenen Personen haben Marisa Ponti, mit der ich die Action geleitet habe, bis sie es auf formalen Gründen nicht weiter machen konnte, und Anna Land-Zandstra die Co-Leitung übernommen hatte, und Claudia Göbel, die ECSA maßgeblich als erste Geschäftsführerin mitgeprägt hat, und ich den Antrag geschrieben. Im Jahr 2016 startete dann unsere COST Action „Citizen Science to promote creativity, scientific literacy, and innovation throughout Europe" mit der ersten Vollversammlung in Brüssel. Als COST Newcomerin musste ich dann eine Lösung dafür finden, dass beispielsweise Spanien eine sehr große aktive Community hatte und in einigen anderen Ländern der Begriff Citizen Science eher unbekannt war, und trotzdem jedes Land genau zwei Personen in die Vollversammlung schicken durfte. Und nur diese Personen durften Arbeitsgruppen leiten, und es sollte auch eine gewisse Ausgewogenheit zwischen den forschungsstarken Ländern und den sogenannten inclusiveness-target-countries (ITCs) hergestellt werden.

Für mich stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Länder eine große Inspiration dar. Die Beiträge haben die COST Action insgesamt sehr bereichert, weil sie die Perspektiven noch stärker auf die transformative Funktion von Citizen Science gelenkt haben. Sehr deutlich wurden die Ansätze auch in einem pan-europäischen Assessment zu Citizen Science Strategien. Schon die Diskussion des Fragebogens auf verschiedenen Workshops in Porto, Brüssel und Cêsis war einsichtsreich. Es wurde deutlich, dass es große Unterschiede zwischen Ländern wie Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, wo Citizen Science über öffentliche Mittel gefördert wird, und Ländern wie Ungarn, der Slowakei oder Polen, wo die Projekte eher aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus entstehen, gibt. Diese Unterschiede in der Definition und Perzeption von Citizen Science haben wir in den einleitenden Kapiteln des Buches „The Science of Citizen Science" aufgegriffen. Speziell Förderer waren an einer klaren Definition interessiert, wohingegen sich in der Praxis zeigt, dass Citizen Science ein sehr diverses Feld ist. Mal stehen wissenschaftliche Fragen im Vordergrund, mal erzieherische oder politische. Mal beteiligen sich Menschen mit Beobachtungen über Apps, manchmal sind sie die ersten Expertinnen oder Experten auf ihrem Feld. Manchmal machen sie bei einem Projekt mit, manchmal haben sie ihr Lebensthema gefunden. Grundkonsens ist, dass wissenschaftliches Wissen vermehrt wird, also Wissen, welches mit nachvollziehbaren Methoden erlangt wurde.

Im ersten Teil des Buches diskutieren wir dann, welchen Beitrag Citizen Science in den Natur-, Kultur- und Sozialwissenschaften leisten kann und wie die Rahmenbedingungen dafür aussehen. Dazu gehören beispielsweise auch ethische Aspekte, die den Umgang mit Daten und Persönlichkeitsrechten umfassen. Auch ein Blick in die Zukunft wird gewagt: Die zunehmende Nutzung von Algorithmen zur Mustererkennung verändert auch die Aufgaben der Citizen Scientists.

Im zweiten Teil befassen wir uns mit den gesellschaftlichen Implikationen und der Gestaltung der Zusammenarbeit von professionellen – bezahlten – Forscherinnen und Forschern und den ehrenamtlichen. Dabei wird zum einen ein Augenmerk auf die Zusammensetzung der Citizen Scientists geworfen, die häufig einen Bias hin zu Akademikerinnen und Akademikern aufweist, und Vorschläge gemacht, wie Inklusion und Diversität erhöht werden können. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei zivilgesellschaftliche Organisationen. Im Hinblick auf die Schnittstelle zur Politik wird zwischen policies – also inhaltlichen wissenschaftlichen Beiträgen von Citizen Science, politics als Veränderung von Prozessen wie beispielsweise Stakeholder-Einbindung und polity als institutionelle Wechselwirkungen wie beispielsweise die Umsetzung von Prinzipien verantwortungsbewusster Forschung und Innovation (Responsible Research and Innovation; RRI).

Im dritten Teil stellen wir praktische Instrumente vor und diskutieren sie. Dazu gehört ein Überblick über die verschiedenen Citizen Science Plattformen in Europa, darunter auch die Vorreiter aus Österreich und Deutschland, www.citizen-science.at und www.buergerschaffenwissen.de. Last not least wird die Frage angegangen, wie Citizen Science evaluiert werden kann – für die Beteiligten, für die Wissenschaft und die Gesellschaft als Ganzes.

Die Zielgruppen des Buches sind die internationale Citizen Science Community, die Praktikerinnen und Praktiker und insbesondere die Universitäten. Es soll ihnen erleichtern, einzelne Teile in ihr Curriculum zu übernehmen oder vielleicht sogar Professuren für Citizen Science einzurichten.

Vom ersten Treffen des Herausgeberteams, bei dem die grobe Struktur des Buches erarbeitet wurde, bis zur Veröffentlichung ist ein gutes Jahr vergangen. Über 100 Autorinnen und Autoren haben sich am Schreiben und am Qualitätssicherungsprozess beteiligt. Auf einem Autorentreffen Ende 2019 in Berlin wurden alle Kapitel von mindestens zwei anderen Autorinnen oder Autoren gelesen und in verschiedenen Gruppen diskutiert. Dies diente sowohl der Vollständigkeit und der Vermeidung von (zu vielen) Überschneidungen als auch der inhaltlichen und wissenschaftlichen Stringenz. Das Feld der Forschung über Citizen Science ist neu und am Wachsen, so dass in den nächsten Jahren mit einigen neuen Kapiteln zu rechnen ist.

"The Science of Citizen Science" ist als Open Access-Version im Springer Verlag frei erhältlich.